Korrektive Gemeindeseelsorge

Korrektive Gemeindeseelsorge

Gemeindezucht – oder korrektive Gemeindeseelsorge

Es kommt gelegentlich vor, dass sich ein Christ von der Gemeinschaft der Gläubigen entfernt und sich durch Unwissenheit oder bewussten Ungehorsam in Sünde verstrickt. Dann müssen die Gemeinde und vor allem ihre Hirten sich aktiv darum bemühen, dass dieser Christ Buße tut und zurückgebracht wird. Als Hirten der Herde lieben die Ältesten die Schafe, die Mitglieder der Gemeinde, und sind außerdem vor Gott für ihr geistliches Wohlergehen verantwortlich.

Das gilt genauso auch für die verirrten Schafe. Wie in dem Gleichnis von Jesus in Lukas 15, 3-7 wird Freude sein im Himmel und in der Gemeinde, wenn ein verirrter Christ wirklich Buße tut. Eine Art und Weise, durch die sich die Gemeinde liebevoll um die Wiederherstellung von verirrten Gläubigen bemüht, ist der Prozess der Gemeindezucht. In Matthäus 18 erklärt der HERR seinen Jüngern, wie man sich verhält, wenn ein Mitgläubiger sündigt. Die Gemeinde Christi muss sich durch die von ihm selbst dargelegten Prinzipien leiten lassen, wenn sie Gemeindezucht durchführen will.

Der Zweck von korrektiver Gemeindeseelsorge

Der Zweck von korrektive Gemeindeseelsorge ist die geistliche Wiederherstellung abgeirrter Mitglieder sowie die Stärkung der Gemeinde und Verherrlichung des HERRN. Wenn ein in Sünde lebender Christ zurechtgewiesen wird und er dann von der Sünde umkehrt und ihm vergeben wird, ist er für die Gemeinschaft mit der Gemeinde und ihrem Oberhaupt Jesus Christus zurückgewonnen.

Das Ziel der Gemeindezucht ist also nicht, Menschen aus der Gemeinde hinauszuwerfen oder den selbstgerechten Stolz derjenigen zu fördern, die die Gemeindezucht ausüben. Es geht nicht darum, Menschen zu blamieren oder auf unbiblische Weise Autorität und Macht auszuüben.

Der Zweck besteht darin, den in Sünde lebenden Gläubigen wiederherzustellen zur Heiligung und ihn zu einer reinen Beziehung innerhalb der Versammlung zurückzubringen.

In Matthäus 18,15 sagt Jesus: „Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.“ Das griechische Wort, das mit „gewinnen“ übersetzt ist, wurde ursprünglich für das Anhäufen von Besitz im Sinn von finanziellem Vermögen gebraucht.

Hier bezieht es sich auf das Zurückgewinnen von etwas Wertvollem, das verloren ist, nämlich den verirrten Bruder. Wenn ein Bruder oder eine Schwester vom rechten Weg abkommt, geht ein wertvoller Schatz verloren, und die Gemeinde sollte nicht eher ruhen, bis er oder sie wiederhergestellt ist. Die Gemeinde Christi hat die Aufgabe, zurückzugewinnen und wiederherzustellen (Galater 6,1), und das ist auch der Zweck von Gemeindezucht.

Der Prozess der korrektiven Gemeindeseelsorge

In Matthäus 18,15-17 legt Jesus den vierstufigen Prozess von Gemeindezucht dar: (1) sprich ihn unter vier Augen auf die Sünde an, (2) nimm einige Zeugen mit, (3) sage es der Gemeinde, und (4) behandle ihn wie einen Unbußfertigen.

Erster Schritt (Matthäus 18,15)

Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. (Mt. 18,15)

Korrektive Gemeindeseelsorge beginnt auf einer persönlichen Ebene. Jesus sagt: „Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat, so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen“ (Vers 15a). Hier geht ein Gläubiger allein zu einem in Sünde lebenden Bruder und weist ihn in einer Haltung der Demut und Freundlichkeit zurecht. Diese Zurechtweisung beinhaltet, dass die Sünde eindeutig aufgedeckt wird, damit er sich dessen bewusst wird, und er zur Buße aufgefordert wird. Wenn der in Sünde lebende Bruder aufgrund der persönlichen Zurechtweisung Buße tut, wird ihm vergeben, und er ist wiederhergestellt (Vers 15b).

ZweiteR Schritt (Matthäus 18,16)

Hört er aber nicht, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit jede Sache auf der Aussage von zwei oder drei Zeugen beruht. (Mt 18,16)

Wenn der in Sünde lebende Bruder sich weigert, auf denjenigen zu hören, der ihn unter vier Augen zurechtgewiesen hat, ist der nächste Schritt der korrektiven Gemeindeseelsorge, einen oder zwei weitere Gläubige mitzunehmen, um ihn erneut zurechtzuweisen (Vers 16a). Der Grund für die Anwesenheit der anderen Gläubigen ist, damit „jede Sache auf der Aussage von zwei oder drei Zeugen beruht“ (Vers 16b). Mit anderen Worten: Die Aufgabe der Zeugen ist nicht nur zu bestätigen, dass die Sünde tatsächlich begangen worden ist, sondern auch darauf zu achten, dass der in Sünde lebende Bruder in rechter Weise zurechtgewiesen worden ist, und festzustellen, ob er Buße getan hat oder nicht.

Die Anwesenheit der zusätzlichen Zeugen ist ebenso sehr ein Schutz für den Beschuldigten wie auch für denjenigen, der ihn beschuldigt. Schließlich könnte eine voreingenommene Person unberechtigter Weise behaupten: „Nun, ich habe versucht, ihn zurechtzuweisen, aber er ist uneinsichtig.“

Es wäre vermessen zu denken, eine einzelne Person könnte solch eine endgültige Feststellung treffen, besonders wenn er derjenige war, gegen den der Andere gesündigt hat. Die Zeugen müssen bestätigen, ob der Bruder ein bußfertiges Herz hat oder ein gleichgültiges ablehnendes.

Solch ein Bericht stellt die Basis für das weitere Vorgehen dar, weil die Situation über die Aussage eines Einzelnen hinaus bestätigt worden ist.

An diesem Punkt ist zu hoffen, dass die zu der persönlichen Zurechtweisung mitgenommenen Zeugen nicht zu öffentlichen Zeugen gegen ihn vor der ganzen Gemeinde werden müssen. Im Idealfall reicht ihre zusätzliche Zurechtweisung aus, um eine Veränderung im Herzen des sündigenden Bruders zu bewirken, die die ursprüngliche Zurechtweisung noch nicht bewirkt hat. Wenn diese Veränderung stattfindet, wird dem Bruder vergeben, er ist wiederhergestellt, und die Angelegenheit ist erledigt.

DritteR Schritt (Matthäus 18,17a)

Hört er aber auf diese nicht, so sage es der Gemeinde. (Mt 19,17a)

Wenn der in Sünde lebende Bruder sich auch nach einer bestimmten Zeit weigert, auf die Zurechtweisung der Zeugen zu hören, dann sollen diese Zeugen die Gemeinde informieren (Vers 17a). Dies geschieht am besten dadurch, dass die Angelegenheit den Ältesten mitgeteilt wird, die wiederum für die Weitergabe der Information an die ganze Gemeinde sorgen. Wie lange sollen die Zeugen die betroffene Person immer wieder zur Buße aufrufen, bevor sie es der Gemeinde sagen? Die Ältesten sollten nicht eher zum dritten oder vierten Schritt der korrektiven Gemeindeseelsorge übergehen, bis sie absolut sicher sind, dass der abgeirrte Gläubige wirklich gesündigt hat oder weiter sündigt und sich auch nach angemessener Zurechtweisung weigert, Buße zu tun. In diesem Fall sollten die Ältesten ihn vor dem dritten (oder vierten) Schritt warnen, falls er nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Einsicht zeigt und Buße tut. Wenn dieser Tag verstreicht, werden seine Sünde und seine Weigerung zur Buße vor der ganzen Gemeindeversammlung bekannt gegeben. Ab diesem Moment darf die Person nicht am Mahl des Herrn teilnehmen und keine Dienste in der Gemeinde ausüben.

Nach diesem dritten Schritt ist die Gemeinschaft aufgrund der Sünde bereits unterbrochen. Der Versammlung soll deutlich gemacht werden, dass sie der Person aktiv nachgehen und ihn eindringlich bitten sollen, Buße zu tun, bevor der vierte Schritt unumgänglich wird (2. Thessalonicher 3,14-15). Dieser wichtige und wirksame Prozess führt den Sünder oft zurück zur Buße und zum Gehorsam. Wenn die Person Buße tut, wird ihr vergeben, und sie ist wiederhergestellt.

Vierter Schritt (Matthäus 18,17b)

Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und ein Zöllner. (Mt 18,17b)

Der vierte und letzte Schritt der korrektiven Gemeindeseelsorge ist der Ausschluss aus der Gemeinde. Wenn ein in Sünde lebender Gläubiger auch nicht auf die Gemeinde hört, muss er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Jesus sagt: „… so sei er für dich wie ein Heide und ein Zöllner“ (Vers 17b). Der Ausdruck „Heide“ wurde vor allem für Nicht-Juden gebraucht, die an ihrem traditionellen Heidentum festhielten und Anteil weder am Bund Gottes noch an der Anbetung oder dem sozialen Leben der Juden hatten. Ein „Zöllner“ war dagegen ein durch eigene Wahl aus der Gemeinschaft der Juden Ausgestoßener, ein Verräter an seinem eigenen Volk. Jesus’ Gebrauch dieser Ausdrücke bedeutet nicht, dass die Gemeinde diese Menschen schlecht behandeln soll. Es bedeutet einfach, dass ein bekennender Christ, der sich weigert, Buße zu tun, von der Gemeinde so behandelt werden soll, als würde er nicht zu ihr gehören. Er soll nicht an den Segnungen und den Vorzügen der christlichen Versammlung teilhaben.

Als ein Mann in der Gemeinde in Korinth sich weigerte, eine inzestuöse Beziehung mit seiner Stiefmutter aufzugeben, gab der Apostel Paulus die Anweisung, dass der Mann aus ihrer Mitte entfernt werden sollte (1. Korinther 5,13). Die Gläubigen sollten nicht einmal eine Mahlzeit mit ihm teilen (1. Korinther 5,11), denn gemeinsame Mahlzeiten waren ein Kennzeichen für gastfreundliche und herzliche Gemeinschaft. Wer beharrt und keine Buße tut, soll ganz aus der Gemeinschaft der Gemeinde ausgeschlossen und wie ein Ausgestoßener, nicht wie ein Bruder, behandelt werden. Dies schließt den Gemeindebesuch und die Gemeinschaft aus. Da wir von der Kraft des Wortes Gottes überzeugt sind Menschen zur Umkehr zu führen, darf der Gottesdienst jedoch besucht werden.

Hinsichtlich des Wohls der Gemeinde liegt der Zweck des Ausschlusses des Bruders darin, die Reinheit der Gemeinde zu schützen (1. Korinther 5,6), die Versammlung vor der Gefahr der Sünde zu warnen (1. Timotheus 5,20) und ein gerechtes Zeugnis vor der beobachtenden Umgebung abzulegen. Aber hinsichtlich des Bruders selbst liegt der Zweck des Ausschlusses nicht darin, ihn zu strafen, sondern ihn wachzurütteln. Deshalb soll alles in demütiger Liebe und nicht in einer Haltung selbstgerechter Überheblichkeit geschehen (Galater 6,1; 2. Timotheus 4,2).

Wenn eine Gemeinde alles getan hat, um das in Sünde lebende Gemeindeglied zu einem reinen Leben zurückzubringen, aber es nicht gelingt, soll er seiner Sünde und Schmach überlassen werden. Wenn er wirklich ein Christ ist, wird Gott ihn nicht verstoßen, sondern Gott lässt ihn vielleicht noch tiefer sinken, bevor er so verzweifelt ist, dass er sich von seiner Sünde abwendet. Die Aufforderung, keine Gemeinschaft, ja nicht einmal Umgang mit dem unbußfertigen Bruder zu haben, schließt nicht jeden Kontakt aus. Wenn es eine Gelegenheit gibt, ihn zu ermahnen und zur Umkehr zu rufen, sollte diese genutzt werden. Solche Gelegenheiten sollten sogar erstrebt werden. Aber der Kontakt sollte allein dem Zweck der Ermahnung und Wiederherstellung dienen.

Der Weg der Buße steht der ausgeschlossenen Person jederzeit offen. Ab dem Zeitpunkt der Buße möchten wir die Gemeinschaft schrittweise wieder aufbauen. Nachdem die Früchte der Umkehr deutlich zu erkennen sind, wird die Person wieder vollständig in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen.

Weiterführende Literatur

Gemeindezucht, Jonathan Leeman

Neun Merkmale einer gesunden Gemeinde, Mark Dever